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Magie für dunkle Tage, Feenstaub fürs neue Jahr

 



Text von Sonja


Wer bringt die Behandlungsmethoden seines Arztes schon mit Magie in Verbindung? Ich eigentlich auch nicht, aber mein letzter Besuch bei meinem Hausarzt hatte etwas Magisches und das wollte ich mit euch teilen.  


Ich saß bei Günther, der gleichzeitig Therapeuten und Hausarzt ist. Ich wollte mir schnell etwas verschreiben lassen, um runterzukommen, um mich zu beruhigen. Ich fühlte mich innerlich so gehetzt, so hochtourig, als stünde ich unter einer Art Dauerbeschuss. Viel Zeit hatte ich auch nicht. Also schnell ein Rezept und raus aus der Praxis.      

Die Ursache meiner Unruhe ist rasch erzählt: Mein Vater hatte im August eine große Tumoroperation. Allerdings hat er immer noch eine sehr große, sehr offene Stelle im Gesicht. Die will und will nicht heilen.    Mal platzen die Ränder wieder auf, mal eitert es, mal ist eine Entzündung drin... Ich versuche, auch wenn ich manchmal selbst am Verzweifeln bin, gute Laune zu verbreiten. Versuche ihm Mut und Geduld zuzusprechen, meine Mutter zu beruhigen. Bin im Dauereinsatz für die beiden (das gehört wohl dazu, wenn die Eltern beide über 80 Jahre alt sind) Ich ahne, wenn es noch eine Heilung geben sollte, wird es lange, lange Zeit in Anspruch nehmen.   Deshalb sollte mir Günther etwas verschreiben, damit ich ruhiger und ausgeglichener würde. Ich bräuchte so eine Art Duracell-Batterie, um länger durchzuhalten.

Günther und ich kennen uns schon lange. Er verschreibt wenig, rät eher zu Singen und Yoga, nimmt sich Zeit zum Zuhören und greift selten zur chemischen Keule. Genau deshalb ist er schon seit einer gefühlten Ewigkeit und durch viele Widrigkeiten hindurch mein Arzt. „Bereit für ein Experiment?“ wollte er wissen. „NEIN!“ schrie es in mir.

„Na ja…“ stammelte ich laut und suchte verzweifelt nach einer Erklärung flugs aus seiner Praxis zu flüchten. Aber ich kenne ihn. Würde ich sagen: „Ich hab’s eilig“, dann wäre seine Antwort sicherlich: „wer es eilig hat gehe langsam“, oder so etwas.

Auch wenn ich das Gefühl hatte, dass meine Nerven brüchig waren, wie altes Pergamentpapier und gleich weitere Fasern absplittern würden…      Ich wusste nicht wie ich mich rauswinden sollte. Erschwerend kam hinzu, dass ich ihm aus tiefstem Herzen vertraue. Vielleicht sollte ich es zumindest  ausprobieren.                                                                                                           

„Gut,“ mein Zögern übersah er - sicher absichtlich. „Dann schließ die Augen, setze dich bequem und nimm erstmal ein paar tiefe Atemzüge.“

Okay, dachte ich, klingt nach einer Meditation. Meinetwegen. Aber bitte beeil dich und vergiss nicht mir ein Rezept mitzugeben, betete ich insgeheim.   

Ich bin ziemlich geübt im Meditieren. Eine bequeme Haltung, ein paar tiefe Atemzüge durch die Nase ein und durch den Mund aus. Schon wurde ich ruhiger. Spürte wie ich wie ich runterkam; normalerweise.

Dieses Mal jedoch rastete mein Verstand fast aus.  Was sollte mir das bei den endlosen Terminen bei Ärzten oder im Krankenhaus helfen? Würde es mir bei den Verhandlungen und Nachfragen bei der Krankenkasse nützen?

Gleichzeitig versuchte ich mich auf die Meditation einzustimmen. Meine innere Abwehr würde zu gar keinem Ergebnis führen und zudem alles hinauszögern. Ich besänftigte meinen Kopf schon mal mit einem imaginären Spaziergang über eine Wiese.   

„Jetzt stell dir vor, du liegst auf einer Wiese.“ Kam auch prompt die  Anweisung.

Wusste ich`s doch! „Ganz entspannt und ganz bequem.“  

Na das ist ja originell!  Kommentierte mein zynischer Verstand.

„Bleib bei deinem Atem“. Günther ließ sich nicht beirren, obwohl ich ahnte, dass er mir meine widersprüchlichen Gefühle und Gedanken ansehen konnte.

Ich konzentrierte mich erneut auf meinen Atem. Atmete tiefer, ruhiger, und mehr und mehr in den Bauch hinein.

„Und jetzt stellst du dir vor, wie deine Seele aus deinem Körper tritt und du dich sozusagen von oben selbst betrachtest. “

Krass – ich habe wirklich schon viele Meditationen mitgemacht. Ich habe eine unglaubliche Bilderwelt in mir. Ich konnte in einer Meditation mit meinem Bruder oder mit meinen Großeltern Kontakt aufnehmen. Aber das war nun wirklich eine andere Nummer.

Widerstand und Skepsis wollten sich ausbreiten, aber eine gewisse Neugier hatte er schon geweckt und so beschloss ich, mich nun endgültig auf was auch kommen sollte einzulassen.     

Er musste es gefühlt haben, denn genau in diesem Moment fuhr er fort:  

„Und jetzt gehst du mit deiner Seele zur unendlichen Quelle. Oder zu Gott oder zur Urmutter, wie auch immer du es für dich benennen magst.“

Tatsächlich gelang auch dieses Bild. Ich fand einen Raum, eine Art göttlichen Raum dort löste sich dann alles irgendwie auf. Es war wie nach Hause kommen. Nach einem langen, langen Tag. Ruhe breitete sich in mir aus. Ein Gefühl von Ganzheit durch- und überströmte mich. 

„Wie fühlt sich das an?“ Günther konnte wohl alles an meinem Gesichtsausdruck ablesen.

Ich stammelte eine Beschreibung. Aber mir fehlten die Worte für diese Wärme, diese Geborgenheit, diese Glückseligkeit. Dieses Gefühl einfach angenommen zu sein. Die Schwere, die auf meinen Schultern lastete löste sich in Leichtigkeit, als würden mich Tausende und Abertausende Luftballons hochheben, wiegen, tragen.

„Sehr schön, bleib noch ein wenig dabei. Nimm dieses Gefühl mit. Bewahre es in deinem Herzen. Und wann immer du einen schlechten Tag hattest, versuchst du ihn nochmal zu erleben, dann aber mit diesem Gefühl das du jetzt empfunden hattest.“

Er ließ mir noch etwas Zeit diese Empfindungen ganz auszukosten. Dann führte er mich und meine Vorstellungen behutsam zurück in seine Praxis und ins Jetzt.  

„Probier es aus und erzähl mir wie sich der erlebte Tag dann verändert hat.“

Ich versprach`s, obwohl ich mir insgeheim dachte: Ein vergeigter Tag, ist ein vergeigter Tag und bleibt ein vergeigter Tag.

„So, das hat jetzt 10 Minuten gedauert, du wolltest doch schnell wieder draußen sein, “ witzelte er, während er die Manschette des Blutdruckgerätes abnahm. Der Blutdruck war wieder im grünen Bereich und ich war mehr als verblüfft, dass es nur so wenig Zeit in Anspruch genommen hatte. Ich hatte noch ein bisschen das Gefühl von Ewigkeit, von Zeitlosigkeit in mir. 

Wesentlich besser gelaunt, fast schon beschwingt verließ ich die Praxis, natürlich ohne jegliches Rezept.  

Nicht lange danach und ich hatte so einen unglaublich verlorenen Tag. Mein Vater und ich hatten wieder einmal einen ganzen Nachmittag im Krankenhaus verbracht.  

Ich fühlte mich platt, müde wie ausgesaugt. Wir hatten über drei Stunden auf seine Wundversorgung gewartet. Die zermürbende Warterei hatte all meine Energie aufgezehrt.   

Erschöpft legte ich mich auf die Couch. Aber ich kam nicht zur Ruhe. Ich sah all die verletzten, entstellten Gesichter. Meistens konnte man nur noch eine Hälfte erkennen, der Rest steckte unter einem dicken Verband oder Pflaster.  

Auch mein Vater sieht mittlerweile so aus. Die Wundversorgung selbst dauert nur 10 Minuten. Ich kann nicht mal zusehen, während er die Behandlung an seinem klaffenden Loch am Kieferknochen erträgt. So vergehen unsere Tage. Zweimal die Woche seit fast drei Monaten. Dieses Mal waren wieder 10 Notfälle dazwischengekommen und die Stunden hatten sich wie ein zäher Brei gezogen.  

Wenn das nicht ein Tag gewesen war, wie ihn Günther wohl gedacht hatte. Welcher Tag dann?

Es war schwer die Gesichter all der Menschen aus dem Kopf zu bringen, die mit meinem Vater gewartet hatten. Das kleine Mädchen mit dem dicken Verband am Ohr. Die ältere Frau, die nur sprechen konnte, wenn sie auf ihren Kehlkopf drückte….

Ich musste diesen Bildern etwas entgegensetzen und versuchte mich exakt an die Anleitung zu erinnern.  

Nach einiger Zeit stellte sich tatschlich eine wärmende Geborgenheit ein. Mit diesem Gefühl im Herzen scrollte ich sozusagen den Nachmittag im Krankenhaus zurück.  

Da war der freundliche Autofahrer, der mir die Parkplatzsuche erleichterte indem er mir wild gestikulierte wo sein Auto stand.  

Die resolute ältere Dame an der Anmeldung, die meinem Vater seine Adressdaten und die Akte in die Hand drückte noch ehe er die Versichertenkarte aus seiner Geldbörse gezogen hatte.     

„Sie waren schon so oft hier, dass ich ihren Namen kenne. Sie sind ein Kämpfer, gell.“

Das erste Mal, dass sie ein persönliches Wort an meinen Vater gerichtet hatte.

Wie kleine Lichtpunkte blitzten die Begegnungen auf, aber noch verloren sie sich in einer endlosen Dunkelheit.

Ich sah den freundlichen Mann im Wartezimmer, der wie ich seinen Vater begleitete. Irgendwann war er entnervt aufgestanden:

„Gibt`s hier außer Wasser noch was anderes? Ich brauch jetzt einen Kaffee!“ Stöhnte er auf.

Ein Neuling, er und sein Vater, dachte ich bei mir. Laut sagte ich, dass er am Kiosk im Erdgeschoss einen relativ guten Kaffee bekommen würde.

„Wollen Sie auch einen.“ Dabei sah er sogar in die gesamte Wartezimmerrunde. Doch die meisten waren in ihre Handys vertieft. Die junge Mutter, die neben ihrem Kind auf dem grauen Linoleumboden kniete, während die Kleine in der armseligen Spielzeugkiste wühlte blickte flehend auf.   

„Geht aufs Haus,“ grinste er als er mit drei Kaffeebecher wiederkam.

Die Atmosphäre im Wartezimmer hatte sich verändert. Auch das Dunkel in meiner Vorstellung wich mehr und mehr zurück.  

Da war die Praktikantin, die meinem Vater so überaus behutsam das Pflaster abzog. Die Assistentin, die ein Foto von der schlecht verheilten Wunde nahm brachte meinen Vater zum Schmunzeln, weil sie sich wie eine professionelle Fotografin gab. Die Ärztin machte sich trotz der späten Stunde auf die Suche nach ihrem Vorgesetzten um mit ihm gemeinsam das weitere Vorgehen zu besprechen.

Hatte nicht sogar der Pförtner ein „alles Gute für sie“ beim Rausgehen gebrummt?

Ich erkannte all die vielen kleinen netten Gesten Worte, Taten. Wie eine Lichterkette reihte sich eine Gegebenheit nach der andern. Warum hatte ich das an dem Nachmittag selbst nicht bemerkt? Wie sehr sich alle bemühten? Wie nett der Umgang miteinander war, obwohl der Nachmittag sicher auch für die Ärzte ewig lange gewesen sein musste. Nicht nur für uns.

Ich blieb noch ein wenig bei diesem Gefühl. Dann aber führte ich noch einmal ganz bewusst meine Seele zu der Quelle. Zu der Quelle, an der ich zu Hause war. Als hätte eine Fee ihren Zauberstab geschwungen, so veränderte sich alles. Es leuchtete und funkelte, die Lichtpunkte wurden mehr und mehr, heller und heller. Ich konnte die Freundlichkeit, die Güte hinter der Maske der Ernsthaftigkeit erkennen.  Konnte die Herzlichkeit entdecken,  die das Klinikpersonal unter den Mänteln versteckte. Selbst die entstellten Gesichter wurden schön, übrig blieben nur leuchtende Herzen. 

Der ganze Nachmittag wurde zu einem Strahlen. Ich sah wie viel Gutes uns geschehen war bei all dem unerträglich Procedere. Ich fühlte mich getragen. Getragen von einer durch und durch positiven Energie.

Alle Äußerlichkeiten, alle Widrigkeiten, alle Menschen rückten in den Hintergrund. Was blieb waren Lichter wohin ich auch blickte, ein Meer wie aus funkelnden Diamanten, ein Ozean voll Güte und Liebe.     

Ich löste mich auf in Tränen, Dankbarkeit und Demut. Wie reich waren mein Vater und ich beschenkt worden.

Wow, das musste ich Günther erzählen das wollte ich euch erzählen.

Haben wir nicht alle eine schlecht verheilende Wunde im Herzen, klaffende Risse, die nie mehr heilen?

Wie viele waren da, die uns in den dunkelsten Stunden geholfen haben weiter zu leben? Freunde, wahre Freunde, die nicht von unserer Seite wichen. Die Familie die noch näher zusammenrückte, Partner die unsere Verzweiflung aushielten? Kollegen, die stumm halfen und sei es auch nur mit einem Kaffee?

Ich jedenfalls hätte die dunkelsten Tage, Wochen, Monate nicht überlebt ohne all die vielen Lichtpunkte.

Auch wenn uns immer mal wieder Schuld und Scham niederdrücken. Wenn wir voll Trauer auf unsere Familien blicken, in denen der Liebste fehlt.  Wir uns als Versager im und am Leben sehen. Wenn wir am Alltag verzweifeln, weil die Kraft ausgeht. Eines können wir noch immer:

Wir können für andere ein Lichtpunkt sein. Können mit unserer Freundlichkeit strahlen, wir können zuhören, ein Lächeln teilen, eine Hand halten, die Trost braucht.

Seien wir die Lichter in der Welt. Leuchten wir für alle die es nötig haben. Versuchen wir die Welt zu verzaubern. Ich bin sicher jeder kann mit ein bisschen Liebe und Feenstaub Magie verbreiten.

Wäre das nicht ein wunderbarer Vorsatz für das neue Jahr?

Leuchten wir in der tiefsten Dunkelheit für und mit dem der fehlt.   



 

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