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Juttas Garten

von Sonja







Gewidmet meiner verstorbenen Freundin Jutta, mit der ich jedes Jahr im Mai die Gartensaison eröffnet habe. Meinem Bruder, der am 15.05.2024  63 Jahre alt geworden wäre.

Als Muttertags Geschenk für alle Mütter, deren Herzen auf Dauer verletzt sein werden. Allen Vätern, die eine zentnerschwere Last auf ihren Schultern tragen.  

Für alle, die eine Portion Hoffnung brauchen.   

  

„Lass uns eine Pause machen!“

  Meine Freundin Jutta stellte selbstgemachte Limonade, Früchte und Sahne auf den beschatteten Terrassentisch. Eine willkommene Erfrischung nach all der Gartenarbeit. Wir zwei werkelten seit einigen Wochen gemeinsam in ihrem großen Nutzgarten. Sie konnte sich mit ihrer kaputten Kniescheibe nicht recht bewegen und war dankbar für meine Unterstützung. Ich dagegen war froh, dass ich für wenige Stunden meinen nagenden Selbstvorwürfen entkam. Mein Bruder war vor einem Jahr aus dem Leben geschieden. Freiwillig wie man so sagt. Was ist daran freiwillig, wenn man nur noch eine Lösung sieht, nämlich die, sein Leben zu beenden? Meines drehte sich seitdem nur noch um meine Versäumnisse, die wenige Zeit die ich mit ihm verbracht hatte, dass ich nicht genug an seinen Sorgen teilgenommen hatte.

„Warum, warum, warum?“ Diese Frage marterte mich Tag und Nacht.

„Dein Bruder würde nicht wollen, dass du dich selbst zerfleischt.“ Wie immer erriet Jutta was in mir vorging. Und wie immer hatte sie recht.

„Wenn ich doch nur wüsste, wie es ihm jetzt geht, dann wäre mir schon wohler.“ Meine Sorge mochte seltsam klingen, nicht jedoch für Jutta. 

„Frag ihn doch!“ Jutta meinte das durchaus ernst. So war sie. Für Jutta war alles leicht, alles luftig. Leben und Sterben so einfach wie Ein- und Ausatmen. Sie war felsenfest überzeugt, dass es nach diesem Leben weiterging, irgendwie, nur schöner halt. Wie ich sie um ihren Glauben, ihre Gewissheit, ihr unerschütterliches Vertrauen beneidete.

„Ja, frag ihn doch! Er soll dir bitteschön eine Nachricht zukommen lassen!“ Bekräftigte sie nochmals.

„Du, ja du kannst das so dahinsagen. Ich brauch schon klare, eindeutige Zeichen, nicht hier“, ich deutete auf ein Pfauenauge, das mitten auf meinem Handrücken saß, „Schmetterlinge, die nur gierig nach unsrem Schweiß sind.“

Damals war ich noch sehr im Verstand.                                      

Jutta lachte: „Du würdest es ja noch nicht einmal gelten lassen, wenn er neben dir stünde“.

„Wahrscheinlich“, stimmte ich zu „ich würde mich gruseln, wenn die Uhr stehen bliebe oder eine Lampe ausginge.“

„Natürlich alle zur gleichen Zeit, eine einzige wäre ja purer Zufall.“  

Ihre Fröhlichkeit verscheuchte meinen Trübsinn. Für Jutta war alles möglich, alles vorstellbar. Wie unbekümmert sie übers Sterben und vom Tod sprach! Vor ihrer Zuversicht wichen sogar meine Gefühle von Schuld, Scham und Schmerz zurück. Sie würden wiederkehren, aber für einen Moment war ich frei und verbunden mit meinem Bruder.   

„Tja, ich fürchte, wir müssen unsere Arbeit beenden, statt die Toten zu belästigen.“                                                                                     Ganz geheuer war mir unser Gespräch nicht und deswegen griff ich energisch nach dem Besen.  

„Hast recht, aber versuchen solltest du es dennoch, Was war dein Bruder von Beruf? Ingenieur, oder so?  Na dann – halt irgendwas technisches!“ Ich schüttelte stumm den Kopf über so viel Hartnäckigkeit.    

Wir ahnten nicht, dass dies unser letzter wirklicher gemeinsamer Gartentag sein sollte. Den restlichen Sommer über sah sie mir von der Terrasse aus zu und unterhielt mich mit ihren weniger werdenden Kommentaren. Müde war sie, erschöpft.  Das Knie wollte nicht heilen, die Schmerzen nahmen zu.

Ich wäre auch nie auf den Gedanken gekommen, dass der Garten ein ganzes Jahr brach liegen würde. In diesem Jahr wagte ich mich wieder ran an die Gartenarbeit. gelegentlich unterstützt durch Juttas Mann Günther. Heute versuchten wir die ausgeschossenen Brombeerbüsche aufzubinden. Wir sprachen wenig, dachten wahrscheinlich beide ausschließlich an Jutta, die im Winter an Krebs verstorben war. Sie hatte viel zu lange gewartet. Viel zu viele falsche Ärzte aufgesucht, ehe die endgültige Diagnose feststand. Und von da an ging alles rasend schnell.  

Ich hatte gerade einen Krug frisches Wasser aus der Küche geholt, als ich sah, wie Günther regelrecht auf der Terrasse zusammenbrach. Das Gesicht in den Händen vergraben, brachen Tränen und Selbstvorwürfe aus ihm heraus, wie dickflüssige Lava. Viel zu lange unterdrückt, viel zu lange unausgesprochen. 

„Ich hätte ihr helfen müssen!“ „Ich hätte es sehen müssen!“ Die Worte kamen undeutlich, aber mir war klar, dass er sich ebenso Schuld zuwies, wie ich mir am Suizid meines Bruders. „Wenn es ihr nur jetzt besser geht…. Nur wissen, dass sie keine Schmerzen mehr hat.“ Wie sehr ich es verstand, diese Sehnsucht nach einem Zeichen, einer Botschaft.   

Nur langsam beruhigte er sich. Ich wartete geduldig, ließ ihn weinen. Ich habe erfahren wie heilsam Tränen für eine wunde Seele sein können.  „Darf ich dir von einem unserer Gartengespräche erzählen?“ Er nickte unter heftigen Schluchzern, aber er konnte schon wieder aufblicken.

So erzählte ich von ihrer Zuversicht, von ihrem unverrückbaren Glauben an ein Wiedersehen und zuletzt erzählte ich ihm von der „Spukgeschichte“. Ich konnte zusehen, wie die selbst zerfleischenden Gedanken wichen. Seine Gesichtszüge wurden weicher. Es dauerte lange, ehe er mich fragen konnte: „Und hast du je eine Nachricht von deinem Bruder erhalten?“

„Am nächsten Tag, auf dem Weg zur Arbeit, gab mein Auto erst ein unbekanntes akustisches Signal, dann erschien im Borddisplay:  „Gurt hinten links nicht angeschnallt. Gleichzeitig erfüllte mich Wärme und Heiterkeit.“ Ich verschwieg ihm, dass ich damals ein Kichern im Ohr hatte, ganz so, wie wir als Geschwister manchmal über Dinge lachen konnten, die kein anderer je so lustig gefunden hätte wie wir zwei.  Ganz deutlich sah ich uns die Köpfe zusammenstecken und etwas aushecken. Noch immer kann ich jedes Detail dieser „Begegnung mit meinem Bruder“ nachempfinden. Und wann immer ich daran denke, habe ich auch gleichzeitig meine Freundin Jutta vor Augen. Aber ich wusste nicht, wie Günther reagieren würde. Wäre es für ihn, den ich bis dato eher als Realist kennengelernt hatte, vollkommener Blödsinn? Würde er aufstehen und sagen, ich solle ihn mit solch einem Quatsch in Ruhe lassen? 

„Ein technischer Fingerzeig, ohne dass du dich fürchten musstest“ Günther hatte es sofort erfasst.

Zuversicht und Liebe erhellte sein Gesicht.  


Allen wünsche ich Botschaften der Hoffnung und wunderbare Tage im Mai für und mit denen die fehlen.   



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